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Lars Adrian Giske auf der Bühne während der ONA session “Real-World Lessons From Custom GPTs In The Newsroom”

Tromsø ist eine Kleinstadt in Nordnorwegen und iTromsø ist eine kleine Zeitung und Website mit insgesamt nur 25 Mitarbeitern. Laut LinkedIn-Informationen erreicht sie täglich etwa 48.000 Leser in Print und online. Aber sie hat die wohl am weitesten entwickelte KI-Infrastruktur in der skandinavischen Medienlandschaft. Auf der ONA Konferenz in New Orleans hatte ich letzte Woche die Gelegenheit, mit Lars Adrian Giske, dem KI-CHef von iTromsø, über die KI-Strategie einer kleinen Redaktion zu sprechen, die in einer höheren KI-Liga spielt.

KI Infrastruktur aufbauen, nicht nur Tools einsetzen

Giske befürwortet eine radikale Abkehr von der Art, wie KI häufig in Redaktionen eingeführt wird. "Finde gute praktische Projekte. Sie müssen nicht groß oder tiefgreifend sein. Es kann so ziemlich alles sein. Fangt klein an, finde ein Projekt, an das du glaubst, und mach es einfach", sagte mir Giske. Er sieht KI als "Kreativitäts-Freischalter", der Journalisten ermöglicht, ihre eigenen Tools und Produkte zu entwickeln.

Bei iTromsø war das ein lokaler Immobilien-Bot, der in Echtzeit über Entwicklungen informierte. Aber das war nur ein Anfang. iTromsøs KI-Implementation geht längst weit über kleine "erstmal reinschnuppern" Starterprojekte hinaus. Die Redaktion verbrachte zweieinhalb Jahre damit, Anwälte zu konsultieren, bevor sie eine zentrale Datenplattform startete, die personenbezogene Informationen über Einwohner aggregiert, einschließlich Einkommen, Immobilienbesitz und Unternehmensverbindungen.

Diese Infrastruktur ermöglicht investigative Enthüllungen, die mit traditionelle Berichterstattung nicht möglich wären. "Wenn mein Endziel ein System ist, das sagen kann, dass Direktor A von Unternehmen B sein Haus verkaufen musste, weil Unternehmen C bankrott ging, dann ist diese Art von Nachricht unglaublich mächtig für Journalisten", sagte Giske zu Nikita Roy im Newsroom Robots Podcast vom März 2025.

Wie DJINN zur Erfolgsgeschichte wurde

iTromsøs Durchbruch kam mit DJINN, einem KI-Tool, das kommunale Dokumente nach nachrichtenwerten Inhalten durchsucht. Das System verarbeitet monatlich über 12.000 PDF-Dokumente, ordnet sie nach Relevanz und erstellt Zusammenfassungen, die Journalisten helfen, lohnenswerte Storys zu identifizieren.

Mit enormem Erfolg: DJINN ist jetzt in 40 Redaktionen der Polaris Media Gruppe aktiv und deckt über 130 Kommunen ab. Polaris Media ASA mit Sitz in Trondheim ist eines von Norwegens größten Medienunternehmen und besitzt 65 lokale und regionale Zeitungen in Norwegen und Schweden.

Redaktionen, die DJINN nutzen, verzeichneten eine Steigerung des Traffic-Anteils um 1.300% bei gleichzeitiger Reduzierung der Recherche-Zeit von Journalisten um 94% (IBM Think, Mai 2025). Noch wichtiger: Journalisten nahmen das Tool begeistert an. Es ist intuitiv verwendbar und für echte Anwendungsfälle in der Redaktion gebaut.

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Systematische KI-Integration

iTromsøs Ansatz zur KI-Schulung unterscheidet sich deutlich von konventionellen Redaktions-Workshops. Anstatt abstrakter Lektionen lernen Journalisten durch Live-Projekte. Die laufende Berichterstattung über die Neuaufteilung von Schulbezirken dient als praktisches Übungsfeld, wo alle 25 Mitarbeiter KI-Tools für echte Berichterstattungsaufgaben nutzen.

"Journalisten haben keine Zeit einen halben Tag für Schulungen zu verwenden", erklärte Rune Ytreberg, Leiter von iTromsøs Datenjournalismus-Labor im Newsroom Robots Podcast: "Sie müssen während der Arbeit lernen."

Die fünfköpfige Dateneinheit der Redaktion umfasst Entwickler, die direkt in der Redaktion sitzen und an täglichen Redaktionssitzungen teilnehmen. Diese Integration bedeutet, dass technische Lösungen organisch aus den Bedürfnissen der Redaktion entstehen und nicht aus Top-Down-Technologie-Mandaten.

Auf iTromsøs Homepage: Eine (datengetriebene?) Story about Schul-Infrastruktur. “Wir sind data-first”, sagt Lars Adrian Giske

Fortgeschrittene RAG-Systeme für investigativen  Datenjournalismus

iTromsø nutzt KI über einfache Dokumentenverarbeitung hinaus auch für ausgereifte investigative Anwendungen. Die Redaktion nutzte Retrieval-Augmented Generation (RAG) Systeme für eine Untersuchung zu Personalmangel im Krankenhaus. Die Story gewann einen Data-SKUP-Preis, eine von Norwegens prestigeträchtigsten Journalismus-Auszeichnungen.

"Wir nutzten das RAG für das, was wir 'Daten riechen' nennen, und grenzen dann während deer Recherche ein", sagte Giske zu Nieman Lab. Die Untersuchung deckte auf, dass "ein Arzt aus Dänemark, der remote arbeitete, ganze vier Sekunden für die Begutachtung von Röntgenbildern verwendete." Das Projekt hätte mit traditionellen Methoden "mindestens drei Monate manuelle Recherche-Zeit" erfordert.

iTromsø hat kürzlich eine Open-Source-RAG-Plattform namens Kotaemon eingeführt, die speziell für fortgeschrittene, industrielle Dokumentenanalyse mit robusten, präzisen Zitations- und Quellen-Hervorhebungsfunktionen entwickelt wurde. Kotaemon sticht hervor, weil es vollständiges lokales Hosting und individuelle Modellauswahl ermöglicht. Das ist besonders wertvoll für die Verarbeitung und den Schutz sensibler kommunaler Daten ist - eine Top-Anforderung für Redaktionen, die mit vertrauliche Regierungs- oder Bürgerdaten umgehen.

Außerdem spiegelt die Infrastruktur hart erlernte Lektionen über KI-Implementierungskosten und -fähigkeiten wider. Die Redaktion testete zunächst OpenAIs Enterprise-Lösung, fand sie aber für eine unternehmensweite Einführung unerschwinglich teuer. Diese Kostenbarriere schuf interne Spaltungen zwischen Journalisten mit KI-Zugang und denen ohne.

Die Lösung bestand darin, Open-Source-Modelle und selbst gehostete Plattformen wie Kotaemon zu übernehmen, die die Kosten pro Anfrage reduzieren und gleichzeitig universellen Zugang ermöglichen.

Kotaemon ist eine Open Source RAG Plattform für fortgeschrittene Documentenanalyse auf Enterprise-Level

AirBnB in Tromsø: Skalierende Story mit Community-Impact

iTromsøs KI-Fähigkeiten erstrecken sich über die kommunale Dokumentenanalyse hinaus auf umfassende Community-Impact-Untersuchungen. Die Redaktion nutzt ihre Dateninfrastruktur, um zu untersuchen, wie externe Kräfte auf lokale Wohnungsmärkte einwirken, und kombiniert mehrere Datenquellen, um Geschichten aufzudecken, die das tägliche Leben der Bewohner beeinflussen.

Giske erklärte mir den Ansatz zur Untersuchung von AirBnBs Auswirkungen auf Tromsøs Wohnungsmarkt: "Wir sind datenorientiert. Unsere Strategie ist: Wir haben eine Idee, eine Hypothese, und dann fragen wir, welche Art von Daten brauchen wir, um sie zu beweisen?" Mit diesem Ansatz entdeckte das Team ein dramatisches Wachstum bei Kurzzeitvermietungen. Die anekdotischen Belege, dass AirBnBs in Tromsø Wohnungen für Einheimische verdrängen, waren real. Die Daten zeigten “8.000%iges Wachstum von Airbnb-Vermietungen im Laufe von zwei Jahren", so Giske.

Diese Art von Storys, basierend auf automatisierten Datenabrufprozessen, skaliert über Märkte hinweg, ermöglicht hyperlokalen Fokus auf bestimmte Stadtteile sowie Follow-ups und Story-Variationen ohne viel zusätzlichen Aufwand. "Wir könnten die Geschichte in einem Jahr wiederholen und sehen, wie sich der Trend entwickelt hat. Deshalb ist es wichtig, diese Datenströme am Laufen zu halten", erklärte Giske. "Eine Datenquelle erzählt eine Geschichte. Aber wenn man sie kontextualisiert und mit anderen Daten anreichert, bekommt man ein völlig anderes Bild und kann völlig andere Geschichten erzählen, wie zum Beispiel: Wie wirkt sich das Einkommen darauf aus?", bemerkte Giske betont, wie dieser Ansatz Analysen auf Stadtteilebene ermöglicht, die präzise zeigen, wie Tourismus-Trends verschiedene Community- und Gesellschaftssegmente beeinflussen.

Neue Formate für neue Interfaces entwickeln

Giske formuliert die zukünftigen Herausforderungen der Medien in deutlichen Worten: "Unsere Konkurrenz liegt nicht innerhalb der Branche. Es sind die großen Tech-Unternehmen. Sie haben die Kontrolle über unseren Informationsströme übernommen, und jetzt übernehmen die großen KI-Unternehmen die Kontrolle über die Informations-Interfaces."

Giske prognostiziert bedeutende Veränderungen, wie User Nachrichten konsumieren. "Medien werden sich ändern. Der Artikel, wie wir ihn kennen, ist künftig möglicherweise nicht mehr das bevorzugte Format von Lesern, Hörern oder Zuschauern. Generative Ökosysteme schaffen neue Nutzungsgewohnheiten”, sagte er zum Nieman Lab. Diese Entwicklung erfordert, dass Redaktionen über traditionelle Artikel-Formate hinausdenken, hin zu datengetriebenen Formaten. 

Laut iTromsøs KI-Chef sollten sich Journalisten und Redaktionen vor allem konzentrieren, Wert für das Publikum zu schaffen. Wie das konkret aussehen kann?  iTromsø baut hyperlokale Beziehungen zu Communitys mit Hilfe von KI auf. Die Redaktion stellt sich konversationelle Interfaces vor, wo Bewohner spezifische Fragen über ihre Nachbarschaft, Schulen oder kommunale Dienstleistungen stellen und präzise, personalisierte Antworten basierend auf umfassenden lokalen Daten erhalten können.

"Ich denke, unsere Rolle wird nicht so sehr darin bestehen, eine Plattform wie eine Website bereitzustellen, sondern sorgfältig kuratierte und verarbeitete Daten", sagte Giske im Newsroom Robots Podcast. Er beschreibt Szenarien, in denen Bewohner beim Kochen spezifische Fragen stellen könnten wie etwa "Was passiert gerade mit der Grundschule meiner Kinder? Dieses konversationelle Interface würde personalisierte, präzise Antworten basierend auf umfassenden lokalen Daten liefern.

Gleichzeitig betont Giske: "Es ist extrem wichtig, dass wir uns genug Zeit nehmen, um hinauszugehen und mit unseren Communitys in Kontakt zu treten und sie zu fragen: Was braucht ihr? Wie können wir eure Probleme lösen?"

Wie iTromsø Erfolg misst

Über Traffic-Metriken hinaus misst iTromsø KI-Erfolg durch journalistische Wirkung. Die  KI-gestützte Krankenhaus-Recherche ermöglichte tiefreichend Berichterstattung, die dem öffentlichen Interesse diente. Ebenso hilft das kommunale Finanz-Tracking-System der Redaktion Bewohnern, Budgetentscheidungen zu verstehen, die ihr Leben direkt beeinflussen.

"Ich denke, dass wir vor Juni oder vor dem Sommer die KI-kompetenteste Redaktion in Norwegen haben werden", sagte Ytreberg im März 2025 im Newsroom Robots Podcast voraus. Gemessen an iTromsøs Standing in der KI- Medienszene haben sie dieses Ziel erreicht.

Meine Learnings von iTromsø für Journalismus im KI-Zeitalter

  • Hyper-Relevanz: Generative KI ermöglicht Personalisierung wie nie zuvor. Traditionelle Medien schaffen es oft nicht, Publikum zu fesseln, weil ihre Inhalte zu allgemein sind und spezifische Leser nicht betreffen. KI-gestützte Systeme können hyper-relevante Informationen liefern, die direkt die Interessen und Bedürfnisse einzelner Community-Mitglieder ansprechen. Anstatt Storys für breite Zielgruppen zu veröffentlichen, können Redaktionen Inhalte erstellen, die auf spezifische Stadtteile oder sogar einzelne Haushalte zugeschnitten sind. Dieser granulare Ansatz könnte lokalen Journalismus revitalisieren, indem er ihn für spezifische Communitys sehr relevant macht. Stories über Schulbezirks-Änderungen, kommunale Budgetentscheidungen oder lokale Entwicklungsprojekte könnten hyperlokal zugeschnitten werden, um genau zu zeigen, wie sie bestimmte Bewohner betreffen.

  • Experience Design für Chat Interfaces: Der Wandel von Websites zu KI-gestützten Chat-Interfaces erfordert, dass Medienunternehmen wie "Experience Designer" denken, die Interfaces für kuratierte Informationen erstellen, anstatt Artikel für passive Konsum zu veröffentlichen. Der Fokus verschiebt sich von einzelnen Stories zu umfassenden Daten-Ökosystemen, die verschiedene Nutzerinteraktionen unterstützen.

  • Neue Community-Verbindungen: Medienunternehmen, die lokale Dynamiken verstehen, vertrauensvolle Beziehungen pflegen und statt generischen Inhalte  nützliche Informationsdienste basierend auf vertrauenswürdigen und relevanten Daten bereitstellen, werden überleben. 

  • Lokal optimierte Lösungen: Die Demokratisierung technischer Fähigkeiten bedeutet, dass Journalisten potenziell spezialisierte Tools und vielfältige, lokal optimierte Lösungen für ihre Ressorts oder ihre lokalen Communitys entwickeln können.

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