Die Time Person des Jahres 2024 ist Print Cover und Titel-Story mit Audioversion, Zusammenfassung, Versionen in anderen Sprachen und einem KI Chatbot

Die KI-Strategie des Time Magazine dreht sich nicht nur um Technologie, sondern vor allem um Positionierung. Während die meisten etablierten Medienunternehmen noch überlegten, ob sie KI bekämpfen oder aktiv bejahen sollten, hatte Time bereits einen umfassenden Ansatz entwickelt, der eine potenzielle Bedrohung in einen Wettbewerbsvorteil verwandelt. Und während Wettbewerber ihre Paywalls verschärften, entfernte Time seine Paywall vor zwei Jahren und konzentrierte sich auf direkte Beziehungen mit Business-Kunden.

Wandel des Business-Modells

Times KI-Strategie baut auf einer fundamentalen Business-Model-Transformation auf. Die Paywall zu entfernen wirkt zunächst kontraproduktiv. Aber es schafft die Voraussetzung für die neue Times B2B-Strategie:

Audience-Skalierung für Partner: Time hat jetzt das größte globale Publikum seit dem Beginn seiner 102 Jahren Firmengeschichte. Freier Zugang treibt höhere Readership-Zahlen, was Time wertvoller für B2B-Partner macht, die große, engagierte Audiences durch Sponsorships und "high value, high touch, long thinking programs" erreichen wollen, wie Time CEO Jessica Sibley auf der ersten South by Southwest London Konferenz letzte Woche erklärte.

Direkte Beziehungen mit der Chefetage: Durch das Entfernen der Paywalls macht Time seinen Premium Content frei zugänglich für C-Suite-Executives (Chief Communications Officers, Chief Content Officers, etc. und Chiefs of Staff, die C-Suite-Executives unterstützen). Times Strategie konzentriert sich auf direkte Beziehungen mit Entscheidungsträgern statt traditionelle Advertising-Intermediäre, wobei Content als Entry Point für breitere Partnerships genutzt wird. Time pflegt konstante Kommunikation mit diesen Clients, um deren schnell wechselnde Bedürfnisse zu verstehen – von Zöllen und globalen Wirtschaftsverschiebungen bis zu Krypto-Trends. Diese Nähe zu Customers ermöglicht schnelleres Pivoting und relevanteren Content Delivery.

Content als Marketing Tool: Die Paywall-Entfernung erlaubt Times exklusivem Content – wie den Trump-Interviews, die "3000 interview articles written about our interview in the first 24 hours" generierten – weit zu zirkulieren und Times Editorial Access und Influence gegenüber potenziellen Corporate Partners zu demonstrieren. Dieses Business Model reduziert die Abhängigkeit von Google-Algorithmus-Changes und Platform-Intermediären.

Wie Time gegenüber seinen Business-Partnern mit den Argumenten Reichweite und weltweiter Sichtbarkeit für die Marke wirbt.

Die KI Partnership-First Strategie

Statt Klageweg oder Verhandlungen mit KI-Unternehmen wählte Time einen dritten Weg: Verhandeln und strategisch aufs Ganze gehen. Es ging nicht nur darum, Gerichtskosten zu vermeiden. Time positionierte sich strategisch im Bund mit KI-Unternehmen, statt sie zu bekämpfen. "Wir würden lieber am Tisch sitzen, was es uns ermöglicht, im Raum mit [Menschen] zu sein, die smart sind und schnell bauen", so Sibley.

Die OpenAI-Partnerschaft, angekündigt im Juni 2024, gewährt OpenAI Zugang zu Times 101 Jahren Archiven, während ordnungsgemäße Attribution und Referral-Traffic zurück zu Time.com gewährleistet wird. "Wir arbeiten mit TIME zusammen, um es Menschen einfacher zu machen, auf Nachrichten-Content durch unsere AI Tools zuzugreifen und um seriösen Journalismus zu unterstützen, indem wir ordnungsgemäße Attribution zu den ursprünglichen Quellen bieten," sagte OpenAI Chief Operating Officer Brad Lightcap in der Partnerschafts-Ankündigung von Time.

Zusätzlich zum OpenAI-Deal baute Time Beziehungen mit Perplexity und anderen KI-Unternehmen auf, was Optionen verschafft und die Abhängigkeit von einer einzigen KI-Plattform reduziert.

Der Time KI-Launch: Skalierung mit Sicherheitsvorkehrungen

Time Magazines Cover gehören zu den Ikonen in der Magazin-Branche. Menschen lieben es, auf dem Cover zu sein (Trump hat sogar ein gerahmtes Fake-Cover von sich selbst in seinem New York Trump Tower Büro hängen). Und die begehrtesten Cover sind natürlich die “Person des Jahres” Ausgaben. Es überrascht also nicht, dass Time seinen AI Chatbot zusammen mit der 2024 Person des Jahres (Donald Trump) Ankündigung launchte – ein kalkulierter Move, um die Technologie mit Millionen von Lesern zu testen.

Das ist smarte Produkt-Strategie. Statt eines stillen Beta-Launch wählte Time seinen Traffic-stärksten Moment, um die Technologie einem Stresstest zu unterziehen und Engagement-Daten zu sammeln. "Indem es den Bot mit einer seiner beliebtesten Stories des Jahres launchen, wird Time Chatbot-Engagement-Daten von Millionen globalen Leser auf einmal sammeln können," berichtete Axios zum Launch-Zeitpunkt.

Andererseits: Indem Time den Umfang auf die Person des Jahres Serie beschränkte, statt den sofort in seinem ganzen Archiv einzusetzen, baut Time Sicherheitsbarrieren um das Projekt und verringert das Risiko für sein größtes Asset: Marken-Vertrauen.

Für seine AI Plattform ging Time eine Partnerschaft mit Scale AI ein, einem Unternehmen, das Enterprise AI Tools baut. Die Plattform deckt die 2024 Person des Jahres (Donald Trump) plus die Sieger der drei Vorjahre ab – Taylor Swift, Volodymyr Zelensky und Elon Musk. Sie umfasst Übersetzungen ins Spanische, Französische, Deutsche und Mandarin, anpassbare Zusammenfassungen verschiedener Längen, Audio-Versionen mit Voice Interaction, Chat-Funktionalität mit Artikel-Content und Zugang zu vorherigen Person des Jahres Stories. Die Plattform verwandelt im Wesentlichen statischen Content in eine interaktive Erfahrung, allerdings eine mit Sicherheitsvorkehrungen zur Wahrung der redaktionellen Integrität.

Die offizielle Beschreibung von Time lautet so: "Indem es sein Quellenmaterial auf genehmigte Artikel und Quellen beschränkt, minimiert der Chatbot das Risiko, ungenaue oder unverifizierte Informationen zu verbreiten. Wenn eine Frage in kontroverse Gebiete abdriftet, leitet er das Gespräch zu sichereren, faktenbasierten Themen um."

Das System operiert mit diesen Sicherheitsvorkehrungen, um sicherzustellen, dass Eingaben sicher und relevant sind. Wenn Nutzer Fragen außerhalb des definierten Scope stellen, antwortet der Chatbot: "Ich bin hier, um Donald Trump und den Time Person of the Year Artikel zu diskutieren. Wenn Sie Fragen über ihn oder verwandte Themen haben, fragen Sie gerne."

Links: CEO Jessica Sibley diskutierte die KI-Strategie von Time bei der SXSW London Anfang Juni. Rechts: Der Bot hat auf meine Fragen zu aktuellen Ereignissen rund um Trump nicht wirklich geantwortet

Allerdings ist Sicherheit ein Aspekt und langfristige Relevanz ein anderer. Der Time Bot hat offensichtlich einen Knowledge Cut-off, der ihn bereits veraltet wirken lässt. Ich fragte ihn, warum Trump die Nationalgarde und 700 Marines nach L.A. geschickt hat, und er antwortete, dass es keine verifizierten Informationen darüber gebe. Ich fragte den Bot auch, warum sich Trump und Elon Musk zerstritten haben, und er bezog sich auf den Capitol Riot vom 6. Januar 2021, was jetzt nicht mehr eine relevante Antwort ist.

Es bleibt abzuwarten, ob Nutzer tatsächlich auf Dauer mit einem Bot chatten wollen, der aus der Zeit gefallen zu sein scheint, während sich die Welt rasend schnell weiterdreht. Das ist besonders fraglich, wenn es um einen Staatsführer geht, der jeden Tag eine neue Kontroverse auslöst. Bisher scheint Time noch vorsichtig zu sein und hat seine AI Plattform noch nicht über die Person des Jahres Serie hinaus auch für ander Inhalte geöffnet, trotz früherer Ankündigungen, dass dies für Anfang 2025 geplant war.

Technologisch abgesicherter Content

Time schützt sein geistiges Eigentum. Das Unternehmen implementiert Echtzeit-Monitoring der Content-Nutzung im gesamten Web. "Wir können vollständig in Echtzeit an jedem einzelnen Tag identifizieren, wer unseren Content scraped, stiehlt und rippt und wie sie ihn verwenden," erklärte Sibley bei der SXSW London.

Time nutzt Content Credentials, ein AI Verification System, das durch die Coalition for Content Provenance and Authenticity (C2PA) entwickelt wurde. Dieses System bettet manipulationssichere Metadaten und digitale Wasserzeichen in Medien ein, um deren Herkunft, Bearbeitungshistorie und AI-Beteiligung zu authentifizieren.

Content Credentials entstand aus einer Partnerschaft von über 3.700 Organisationen, einschließlich Adobe, Microsoft, OpenAI und Time. Der Standard bietet ein "Nährwert-Etikett" für digitalen Content, das Nutzern ermöglicht, Authentizität zu verifizieren und Änderungen zu verfolgen. Das Metadaten-Framework erlaubt Time, Artikel und Bilder kryptographisch zu signieren, wodurch Leser Content-Herkunft direkt auf ihrer Plattform validieren können.

Time ist auch Pionier-Partner der Fox Corporation bei der Nutzung von Verify, einem Blockchain-basierten System für Content-Authentifizierung. Dieses Protokoll signiert Content kryptographisch im Polygon Network und ermöglicht Echtzeit-Verifizierung von Time Artikeln und Bildern.

Diese Partnerschaften sichern Inhalte systematisch anstatt immer wieder jeder hektisch auf jede einzelnen Urhberrechtsverletzungen reagiern zu müssen. Die Technologie liefert Beweise für Verhandlungen und Partnerschaften, während sie den Content schützt, auf denen Times Geschäftsmodelle beruhen.

Weitere Beobachtungen zur KI-Strategie von Times

Redaktionelle Stärke als Fundament: Times KI-Einführung baut auf redaktioneller Stärke auf, statt sie zu ersetzen. Das Unternehmen hat exklusiven Zugang zu wichtigen Persönlichkeiten. Donald Trump hat Time in diesem und im vergangenen Jahr mehr On-the-Record-Zeit gewidmet als jedem anderen Medienunternehmen. Taylor Swifts einziges Interview in fünf Jahren war mit Time. Wenn man in dieser einzigartigen Position ist, kann man Premium-Content selbst via KI verbessern (z.B. durch einen Person des Jahres Bot), aber es ist viel schwerer, von anderen Players oder von KI ersetzt zu werden.

Erfolgsmessung durch Engagement: Time misst KI-Erfolg anhand der gesamten Engagement-Zeit statt mit traditionellen Metriken. "Der Leitstern dafür ist die totale Engagement-Zeit," sagte Chief Operating Officer Mark Howard letztes Jahr zu Axios. "Hat KI dabei geholfen, dass sich Nutzer länger mit den Inhalten beschäftigt haben als eine Standard-Artikel-Seite?"

Frühe Ergebnisse zeigen signifikante Wirkung. “Das Trump-Interview generierte 3000 Erwähnungen und Folgeberichte durch andere Medien in den ersten 24 Stunden dund anschließend gab es 10.000 weitere”, betonte Sibley bei der SXSW London.

Dieser Fokus auf Engagement statt nur auf Effizienz-Metriken passt in die Times B2B-Strategie – Partner interessieren sich für Engagment und Interaktion, nicht nur für Kosteneinsparungen.

Strategische Lektionen aus der Time Case Study

Deer Ansatz von Time bietet spezifische Insights für andere Publisher. Was die Strategie des Unternehmens besonders lehrreich macht, ist nicht so sehr die Technologie selbst, sondern deren Einbettung in vorhandene Strukturen.

Redaktionelle Burggraben zuerst bauen: Time hatte bereits exklusiven Zugang und redaktionelle Beziehungen zu wichtigen Persönlichkeiten, bevor sie diese mit KI aufwerteten. KI kann keine redaktionelle Stärke herstellen, aber man kann KI nutzen, um existierende Stärken zu verstärken. Das spiegelt den Ansatz des Philadelphia Inquirers wider, der sein 196 Jahre altes Archiv als Wettbewerbsvorteil nutzte, den neue Medienunternehmen nicht replizieren können.

Strategische Positionierung statt reaktive Verteidigung wählen: Time verhandelte Partnerschaften, während Wettbewerber noch über mögliche Klagen debattierten. Frühe Positionierung in entstehenden Ökosystemen schafft langfristige Vorteile.

Systematische Sicherheitsvorkehrungen implementieren: Times vorsichtiger Ansatz in puncto Sicherheit und Verifizierung schützt sein Kern-Asset – redaktionelle Glaubwürdigkeit. Überstürzte Markteinführung ohne ordnungsgemäße Safeguards kann Jahrzehnte des Vertrauens zerstören.

Für Nutzer-Autonomie designen: Times AI Tools geben Nutzern Wahlmöglichkeiten, wie sie die Inhalte nutzen wollen, statt spezifische Formate zu forcieren. Das schafft bessere User Experience und höheres Engagement.

Das Wichtige messen: Time fokussiert sich auf Engagement statt nur auf Effizienz-Zuwachs. Das passt zum Geschäftsmodell, wo der Wert für Werbepartner von der Aufmerksamkeit des Publikums abhängt.

Die wichtigste Erkenntnis aus dem Times Ansatz: Erfolgreiche KI-Implementation in Medien erfordert strategische Überlegungen zum Wandel des Geschäftsmodells und nicht nur darüber, wie KI die operative Effizienz steigert. Time nutzt KI, um seine Position in der Wertschöpfungskette zu stärken, statt nur Kosten zu senken.

Verwendete Tools für diesen Newsletter:

  • Otter.ai: Transkription der SXSW London Session mit Jessica Sibley

  • Perplexity Pro und Deep Search: Recherche in ausgewählten Quellen

  • Anthropic 4.0 Sonnet Pro: Zusätzliche Detail-Recherche, Text-Rohfassung english, Text-Rohfassung deutsche Übersetzung

Keep Reading

No posts found