Die New York Times gehört nicht zu den Medien, die schon früh mit KI-Einsätzen von sich reden machte. Die Testphase war gründlich, ausgedehnt und zunächst rein intern. Vor einem Jahr veröffentlichten der stellvertretende CvD Sam Dolnick und der damals neue KI-Chef Zach Seward ein Manifest mit Grundsatzregeln, wie NYT mit KI umgehen will. Auf dem Web Summit in Lissabon in vergangenen November und in seinem Newsletter im Februar wurde Seward dann etwas konkreter.

Anfang 2025 weitete die NYT den internen (d.h. Backend-)Einsatz von KI von einzelnen Pilotprojekten und kleineren Teams auf die gesamte Redaktion aus mit u.a. diesen Maßnahmen:

  • Trainings-Sessions für die Redaktion

  • Die Entwicklung eines internen Tools namens “Echo” um NYT Beiträge zusammenzufassen

  • Zustimmung zur Nutzung einer abgestimmten Palette von Plattformen und Tools für Redaktion und Produktentwicklung, darunter: GitHub Copilot, Vertex AI von Google, NotebookLM (Google) und die API von OpenAI (Letzere nur mit Einzelfall-Prüfung durch die Rechtsabteilung)

Auf einem Panel der South by Southwest Konferenz in Austin, beschrieb Sewards Stellvertreterin Rubina Fillion vergangene Woche nun erstmals anhand von konkreten Beispielen, wie, wofür die NYT bisher KI eingesetzt hat.

KI für investigative Datenanalysen

Analyse von Bestätigungsanhörungen: Das KI-Team analysierte im Vorfeld ihrer Bestätigungsanhörungen im Senat Tausende von Stunden Videomaterial von Trumps umstrittenen Kandidaten für Kabinett- und Behördenposten wie Pete Hegseth (Talkshow-Moderator bei Fox News, jetzt Verteidigungsminister) und Tulsi Gabbard (republikanische Senatorin, jetzt Geheimdienst-Chefin). Im Fall von Gabbard wurde Material aus zehn Jahren ihrer Interviews mit Cable TV Networks analysiert. Dabei wurde Gesichtserkennung genutzt, um zu erkennen, wann Gabbard sprach, und semantische Analysen um aus diesen Passagen ihre Aussagen zu Themen wie Syrien, Russland und Iran zusammenzustellen.

Änderungen der Website der Trump-Regierung: Das Team analysierte etwa 5.000 Websites von Bundesbehörden vor und nach Trumps Amtsantritt, um Wortänderungen zu ermitteln. Dabei wurden erhebliche Änderungen festgestellt, darunter die Entfernung von Begriffen wie „Diversity“ von der FAA-Website und der Buchstaben „T“ und „Q“ von LGBTQ in den Beiträgen des National Park Service über das Stonewall National Momument.

52 Places to Go Analyse: Mithilfe von LLMs und semantischer Suche analysierte das Team 20 Jahre Reiseempfehlungen für mehr als 900 Orte in fast 150 Ländern. Auf diese Weise konnten sie verfolgen, wie sich Diskussionen über den Klimawandel im Laufe der Zeit entwickelten, auch wenn sie nicht ausdrücklich als „Klimawandel“ oder „Nachhaltigkeit“ bezeichnet wurden.

Untersuchung von Wahlbeeinflussungen: Kurz vor der Wahl 2024 nutzte die NYT KI, um Hunderte von Stunden an Videos von einem ominösen privaten Treffen zu transkribieren und zu durchsuchen. Die geheime Gruppe plante bei dem Treffen, die Wahl illegal zu beeinflussen. Wie Seward feststellte, „lagen nicht einmal 500 Stunden zwischen dem Zeitpunkt, an dem wir diese Videos erhielten, und dem Wahltag, so dass wir maschinelle Unterstützung benötigten, wenn die Geschichte veröffentlicht werden sollte”.

Welche Ziele hat der Einsatz von KI bei der NYT und welche nicht?

Aus den veröffentlichten Guidelines der NYT und Rubina Fillions Statements bei der SXSW-Panel ergibt sich ein klares Bild, in welchen Bereichen die NYT den Nutzen von KI sieht und wo sie Grenzen zieht:

Investigativer Journalismus: KI ermöglicht es der NYT, riesige Datensätze zu analysieren, deren manuelle Verarbeitung unmöglich oder extrem schwierig wäre.

Effizientere Recherchen: KI-Tools wie die semantische Suche helfen Journalisten, Informationen auf der Grundlage der Bedeutung und nicht nur anhand von Schlüsselwörtern zu finden.

Workflow-Optimierung: KI hilft bei zeitaufwändigen Aufgaben wie der Erstellung von SEO-Schlagzeilen, Zusammenfassungen, Publikumswerbung, Texten für Social Media und FAQs, so dass sich Journalisten auf anspruchsvollere Arbeit konzentrieren können.

Barrierefreie Inhalte: KI ermöglicht es der NYT, ihre Beiträge durch Übersetzungen, Transkriptionen und Text-to-Speech-Funktionen zugänglicher zu machen und so ein breiteres Publikum zu erreichen, einschließlich Menschen mit Sehbehinderungen.

Redaktionelle Unterstützung: Tools wie Echo (ein internes KI-Zusammenfassungstool) helfen Journalisten, Artikel, Briefings und interaktive Beiträge der Times zu verdichten, Quizze zu generieren und so den Inhalt besser verständlich zu machen.

Ideenfindung: KI hilft beim Brainstorming von Interviewfragen, Storyideen und Rechercheansätzen und unterstützt so den kreativen Prozess.

Dokumentenanalyse: KI hilft Journalisten, die eigenen Dokumente und Bilder der Times zu analysieren, um Erkenntnisse und Muster zu gewinnen, die sonst vielleicht übersehen würden.

Kuratierung der Startseite: Redaktionsgesteuerte Algorithmen helfen bei der Kuratierung von Inhalten auf der NYT-Homepage, was den Workflow effizienter macht und gleichzeitig sicherstellt, dass die Leser bei jedem Besuch relevante, frische Inhalte sehen.

Richtlinien und Einschränkungen:

  • Die NYT nutzt KI als Werkzeug im Dienste ihres journalistischen Auftrags, mit menschlicher Anleitung und rigoroser Verifizierung in jeder Phase des Prozesses (z.B. Abgleich von Transkriptionen mit Original-Video oder -Audio)

  • KI wird nicht zum Schreiben von Artikeln oder zum Generieren von Bildern verwendet, es sei denn genau das ist das Thema eines Beitrags und dient der Dokumentation

  • Die NYT ist transparent im Hinblick auf den Einsatz von KI und veröffentlicht nicht nur die Tools sondern auch die Methoden, wenn KI für investigativen Journalismus eingesetzt wird.

Interessanterweise passiert dieser systematische KI-Roll-Out der NYT derzeit vor dem Hintergrund, dass ihr Rechtsstreit mit OpenAI wegen mutmaßlicher Urheberrechtsverletzungen parallel noch läuft. Das ist allerdings ein Spagat, in dem sich weltweit derzeit viele Medienunternehmen befinden.

Neue Rubrik: Tool der Woche

Als ich vor fünf Wochen diesen Newsletter startete, habe ich versprochen, dass die Lesezeit höchstens fünf Minuten beträgt. Aber laut Substack liegt die Lesezeit bisher immer nur bei drei Minuten. Deshalb führe ich mit dieser Ausgabe eine neue Rubrik ein, und zwar das Tool der Woche. Hier werde ich in Europa eher unbekannte KI-Tools vorstellen, die ich selbst getestet habe und sehr nützlich finde. Wenn ich ein Tool nicht selbst testen konnte (z.B. weil ich als Solo-Unternehmerin nicht mit Redaktionssystemen arbeite), dann werde ich das kenntlich machen. Hier ist das erste Tool der Woche:

Email-Adressen herausfinden mit Hunter.io

In den USA gibt es keine Impressumspflicht für Websites und Anfragen in generischen “Contact Us”-Adressfeldern werden selten beantwortet. Die wenigsten LinkedIn-Profile enthalten Email-Adressen, Twitter war super für Kaltanfragen aber X ist ein Morast und Bluesky ist immer noch zu klein. Um so wichtiger ist ein verlässliches Tool, das Email-Adressen von amerikanerischen Gesprächspartnern herausfindet. Ich habe fast ein Dutzend solcher Tools ausprobiert. Die meisten taugen nicht viel, weil die gefundenen Email-Adressen entweder nicht existieren oder längst veraltet sind. Hunter ist mit Abstand das beste kostenfreie Tool, die Trefferquote liegt über 90 Prozent. Wenn Hunter die Adresse nicht findet, gibt es eine entsprechende Nachricht. Doch wenn das Tool eine Adresse auswirft, dann ist nach meiner Erfahrung nach darauf Verlass.

Wie das Tool funktioniert:

Hunter wurde hauptsächlich für Marketer mit Email-Kampagnen entwickelt, ist aber trotzdem ganz einfach für die Email-Suche zu bedienen. Auf dem Dashboard auf “Verify E-Mail Addresses” klicken, dann in der Seitenleiste auf “Finder” und dann wahlweise nach Personen- oder Firmennamen suchen.

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