2006 verfasste der US-Datenjournalist Adrian Holovaty ein damals wegweisendes Essay mit dem Titel: A fundamental way newspaper sites need to change. Seine Kernthese: Medien müssten einen Paradigmenwechsel schaffen und Informationen maschinell abrufbar strukturieren statt “Artikel-Blobs” zu verfassen (damals war KI, die natürliche Sprache versteht, noch kein Thema). Die mobile News-Site Circa (2012 bis 2016) zerlegte Berichte in einzelne Elemente, so dass Nutzer nur das lasen, was sie noch nicht wussten.

Beide waren ihrer Zeit voraus. Noch immer ist der Gedanke tief verankert, dass ein Text, oder Video, ein Podcast oder eine Audioreportage etc., auf jeden Fall aber eine linear erzählte Geschichte mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende das journalistische Kernprodukt ist, wenn auch mittlerweile Stories angereichert werden mit Infokästen, Grafiken, Audioversionen und (manchmal) Links zu externen Quellen.

Doch jetzt reift in Medienunternehmen allmählich die Erkenntnis, dass für bestimmte Zielgruppen vor allem der gezielte Zugang zu Informationen einen Wert hat und dass das Weglassen von Storytelling den Wert sogar noch erhöht. Axios macht dies mit seinem Smart Brevity Prinzip seit 2016 vor (und verdient nebenbei auch Lizenzgebühren mit Smart Brevity als White Label Lösung).

In den USA setzen inzwischen führende Verlage und Informationsanbieter auf modulare Content-Systeme – auch "Liquid-Content-Architekturen" genannt – die traditionelle Inhalte in wiederverwendbare, strukturierte Komponenten aufteilen, was neue lukrative Geschäftsmodelle ermöglicht. Im Mittelpunkt dieses Ansatzes steht nun nicht mehr der linear erzählte Bericht, sondern die abrufbare Information.

Anstatt vollständige, unteilbare Dokumente zu produzieren, zerlegt ein modularer Ansatz Inhalte in eigenständige, wiederverwendbare Komponenten, die auf verschiedene Weise zusammengestellt werden können, seien es ganze Absätze oder auch nur Satzfragmente oder Logos, Signaturen, Grafiken, Kopf- und Fußzeilen, was im gesamten Publikationszyklus erheblich Zeit und Aufwand spart.

Die Vorteile einer modularen Content-Strategie gehen über bloße Effizienz hinaus. Inhalte in Form von Modulen können immer wieder neu zusammengestellt und verwendet werden, da Redaktionen auf bereits existierende Module zurückgreifen können, anstatt bei Null anzufangen.

Beispiele sind dafür neben Axios vor allem Bloomberg und die New York Times. Bloombergs API-gesteuertes Modell bietet granularen Zugriff auf Finanzdaten und Analysen und ermöglicht Kunden, spezifische Datenpunkte in ihre Anwendungen und Arbeitsabläufe zu integrieren. The New York Times hat ein vielfältiges Portfolio von Content-Produkten aufgebaut, die gebündelt und kombiniert werden können, um das Abonnentenengagement und die -bindung zu verbessern.

Bloombergs modulare Content-Architektur und API-Zugang

Bloomberg hat sich als Vorreiter bei modularen Content-Systemen etabliert, insbesondere durch seine umfangreichen Schnittstellen (Terminals), die programmatischen Zugriff auf Finanzdaten und Analysen bieten. Die Bloomberg-API gibt Entwicklern rund um die Uhr Zugriff auf Daten aus dem Bloomberg Data Center zur Integration in eigene und Drittanbieter-Anwendungen.

Die Bloomberg-API unterteilt große Ergebnisse automatisch in kleinere Teile und kann zusammengefasste Streaming-Daten bereitstellen, um die Bandbreitennutzung zu optimieren. Einer der Hauptvorteile von Bloombergs modularem Ansatz sind themenspezifische Abos. Kunden können Echtzeit-Finanzdaten oder geopolitische Analysen direkt in ihre internen Dashboards integrieren und Updates für sehr granulare Börsen- oder Wirtschaftssegmente anfordern. Solche Systeme ermöglichen dynamische Preismodelle, bei denen die Kunden pro abgerufenen Datenpunkt und nicht für Massenabonnements zahlen.

Modularer Content ermöglicht die Bundle-Strategie der New York Times

Die New York Times hat in den letzten Jahren ein Multi-Produkt-Ökosystem aufgebaut, das modulare Content-Ansätze nutzt, um Abonnementwachstum und -bindung voranzutreiben. Im vierten Quartal 2024 meldete die NYT im Vergleich zum Vorquartal etwa 350.000 neue rein digitale Abonnenten, wodurch sich ihre Gesamtabonnentenbasis auf 11,43 Millionen erhöhte. Dieses Wachstum stammt aus dem vielfältigen Content-Portfolio der NYT, das Nachrichten, Rezepte, Produktbewertungsplattformen wie The Wirecutter und Sportberichterstattung durch The Athletic umfasst sowie rund 100 verschiedenen Themen-Newslettern.

Dieser modulare Ansatz für Inhalte erstreckt sich neben den Newslettern auch auf die Abonnementstrategie der Times. Von den 10,82 Millionen rein digitalen NYT-Abonnenten zum 4. Quartal 2024 waren etwa 5,44 Millionen Bündel- und Mehrprodukt-Abonnenten, die auf verschiedene Content-Module gemäß ihren Interessen zuzugreifen. Das erhöht die Abo-Bindungsrate.

Die NYT erweitert diesen Bundle-Ansatz nun durch Partnerschaften mit anderen Verlagen. Bei Kooperationen mit kleineren Verlagen in den USA konzentriert sich die NYT dabei besonders auf den Zugang zu Lifestyle-Aboprodukten wie Kochen, Spiele und Sport. Diese Strategie setzte die NYT bereits international durch Partnerschaften mit Verlagen wie El País in Spanien und Politiken in Dänemark um. Die NYT kann damit ihre Reichweite erweitern, während sie Partnern wertvolle Content-Module zur Verfügung stellt, die deren eigene Angebote verbessern.

Über den Consumer-Bereich hinaus nutzt die NYT inzwischen das Prinzip des modularen Contents inzwischen auch für hochpreisige Enterprise-Abos. Kunden aus dem Gesundheits- und Bildungswesen bekommen keine Artikel mehr, sondern sektorspezifische KI-Dashboards, in denen sie ähnlich wie in Bloombergs Terminals granulare Informationen abrufen können. Mit diesen Terminals stieg der Aboumsatz auf der Enterprise-Ebene um 22 Prozent.

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