Automatisierte Branchennews in vier Sprachen, unter anderem auch Deutsch

Tomorrow’s Publisher ist eine automatisierte News-Website. Aber sie ist alles, was der ständig zunehmende KI-Schrott nicht ist. Sie plagiiert nicht und halluziniert keine "News". Sie ist nicht mit Werbemüll zugepflastert. TP bietet aktuelle, gut kuratierte und relevante Nachrichten für die Medienbranche aus vertrauenswürdigen Quellen mit minimaler, aber dennoch entscheidender redaktioneller Aufsicht. Und nicht zuletzt: Sie hat ein elegantes Design.

TPs News-Produktionsmodell stellt die heute vorherrschende Annahme in Frage, dass KI hauptsächlich im Backend für die Optimierung von Subscriber-Journeys und SEO, für das Übersetzen und Neuformatieren bestehender Inhalte, für Chatbots oder für Recherche eingesetzt werden sollte - aber definitiv nicht für die Produktion einer gesamten journalistischen Website. (Als die italienische News-Site Il Foglio das vor ein paar Monaten versuchte, bezeichnete der Verleger das Experiment als kommerziellen Erfolg, aber das lag aber wohl eher an der breiten internationalen Berichterstattung über den seltsamen Journalismus, den "Foglio AI" produzierte.)

Während der ersten Chefrunde Study Tour (Crusa) in London letzte Woche, die ich mitorganisiert habe, traf unsere Gruppe Michael Brunt und Alan Hunter, zwei Journalisten, die zu Medienberatern wurden. Sie sind das Team hinter Tomorrow's Publisher. Bevor sie vor vier Jahren die Medienberatung HBM Advisory gründeten, war Alan Hunter Head of Digital bei The Times [of London] und Michael Brunt war General Manager bei The Times und The Sunday Times.

Während unseres Meetings erklärten sie, wie Tomorrow's Publisher funktioniert, warum sie das Experiment starteten, wohin sie es führen wollen und wie es in das größere Bild passt, wie KI die Newsbranche formt.

Diese Analyse basiert auf unserem Meeting in London plus ihren Antworten auf einige zusätzlichen Fragen, die ich ihnen später per E-Mail gestellt habe.

Alan Hunter (hinten links mit Laptop) und Michael Brunt (rechts mit Laptop) beim Gespräch mit der Chefrunde Study Tour

Technische Architektur

TP produziert täglich 2-8 Stories mit nur einem Mitarbeiter, der nur 30 Minuten pro Tag daran arbeitet. Dabei nutzen Hunter und Brunt die AI-Discovery-Engine Noah, um 500.000 Quellen zu scannen und publikationsreife Inhalte schneller zu generieren als die traditionelle Fachpresse.

Alan Hunter erklärt: "Wir können sehr schnell auf Stories reagieren. Vom ersten Erscheinen in meinem Feed bis zur Veröffentlichung können nur wenige Minuten vergehen."

Das System kombiniert drei Komponenten:

Discovery-Ebene: Noahs AI-Engine überwacht RSS-Feeds von Pressemitteilungen, öffentlichen Einrichtungen und Unternehmenskommunikation

Verarbeitungsebene: Natural Language Processing generiert Story-Prompts und erste Entwürfe mit Claude

Redaktionsebene: Es gibt menschliche Faktenchecks, Quellenverifizierung und Stilverfeinerung

Noahs Verifizierungsprozess bietet eingebaute Sicherheitsvorkehrungen: "Sobald es eine potenzielle Story entdeckt, die unseren Prompts entspricht, durchforstet es das Web, um (wo möglich) eine Bestätigung der Story und der darin enthaltenen Fakten zu finden", erklärt Hunter. Das ermöglicht es, über Mainstream-Publikationen hinaus zu recherchieren und dabei die Faktentreue zu wahren. Öffentlich verfügbare Informationen können systematisch gesammelt und schneller verarbeitet werden als mit traditionellen Newsroom-Workflows. Allerdings räumt HBM ein, dass es im Vertical News Publishing “eher selten kontroverse Nachrichten gibt, geschweige denn Desinformation".

Ein Bauplan für B2B-Kundendienstleistungen

TP begann als Experiment, um zu sehen, wie Noahs Technologie genutzt werden könnte und ob sie eine Website produzieren könnte, die Menschen interessiert. TP zieht ein solides und wachsendes vierstelliges Publikum pro Monat an und der wöchentliche Newsletter geht an über 500 Empfänger. "Wir sind uns bewusst, dass das keine weltbewegenden Zahlen sind, aber wir sind überzeugt, dass wir die richtigen Leute erreichen", sagt Hunter.

Auf diesem Experiment aufbauend entwickelte HBM ein Geschäftsmodell, als sie erkannten: "Wir könnten das auch für andere machen!" Sie begannen, den gleichen AI-assistierten Publishing-Service über ihr Produkt Amplify Kunden anzubieten, die Content für ihre Websites oder Newsletter brauchen.

Amplify erstellt spezialisierte Publikationen für sehr nischige Branchenbereiche und nutzt die gleiche AI-Technologie (Noah + menschliche Redaktion), die Tomorrow's Publisher powert. Mit Amplify können Verlage Märkte bedienen, die zu spezialisiert sind, um sie auf traditionelle (redaktionelle) Weise profitabel abzudecken.

Zum Beispiel SRM Today: Dieses Vertical behandelt Supplier Relationship Management und zeigt die Fähigkeit von KI, zuvor unwirtschaftliche Nischen zu bedienen und Branchenwerbung anzuziehen. Zu den Kunden von HBM gehören auch eine Audiologie-Klinik, ein Software-Anbieter und mehrere Branchenverbände.

Das Modell skaliert durch "Teilzeit-Redakteure". Anstatt Vollzeit-Redakteure für jede Nischenpublikation zu beschäftigen, werden Spezialisten eingesetzt, die nur einen Bruchteil der normalen Stunden arbeiten.

Jeder Redakteur spezialisiert sich auf ein bestimmtes Vertical (wie Supplier Relationship Management, Audiologie, etc.). KI übernimmt die aufwändige Arbeit (Stories finden, erste Entwürfe schreiben), sodass menschliche Redakteure nur minimale Zeit für Kuration und Qualitätskontrolle brauchen.

Der Einsatz von KI macht die Bereitstellung von "unsexy", aber sehr relevantem Content für bestimmte Nischenzielgruppen wirtschaftlich machbar. Das ähnelt Morning Brews B2B-Geschäftsmodell, aber HBM hat KI umfassender in den gesamten Workflow integriert.

Das automatisierte Wertschöpfungsmodell: Auszüge aus der HBM-Präsentation

Content Performance Analytics

HBM nutzt KI auch, um herauszufinden, was Content erfolgreich macht. Das Unternehmen analysiert systematisch Artikel nach verschiedenen Faktoren:

Strukturelle Elemente: Artikeltyp, Länge, visuelle Komponenten

Redaktioneller Ansatz: Tonfall, angesprochene Nutzerbedürfnisse, Headline-Stil

Performance-Korrelation: Verknüpfung von Content-Charakteristika mit Engagement-Metriken

Diese Analyse zeigt, warum spezifischer Content gut oder schlecht performt. Erkenntnisse, die traditionell in subjektiven redaktionellen Urteilen verloren gingen, werden sichtbar. Verlage können Content-Strategien basierend auf empirischen Mustern statt auf Intuition optimieren. Die Daten bestätigen Erkenntnisse, die Hunter per Versuch und Irrtum schon bei der Times sammelte.

Strategische Implikationen

Drei wichtige Erkenntnisse ergeben sich aus HBMs Ansatz:

Volumenreduktion funktioniert: HBMs Erfahrung bestätigt, dass eine 30%ige Reduktion der Artikelanzahl das Engagement erhöhte und damit der "mehr Content"-Antwort auf sinkenden Traffic widerspricht. Alan Hunter bemerkt: "Bei The Times [of London] habe ich zuerst die Anzahl der Artikel auf der Website um 10% reduziert und niemand hat es bemerkte. Dann um 20% und immer noch hat es niemand bemerkt. Und schließlich um 30% und die einzigen, die es bemerkten, waren die Reporter. Und das Engagement stieg. Viele Verlage haben den gleichen Effekt bei der Reduzierung ihres Contents berichtet." Selbst loyale Leser konsumieren nur 3-4 Artikel täglich.

Nischenmärkte werden rentabel: KI-Ökonomie macht zuvor nicht bedienbare spezialisierte Themen kommerziell darstellbar. Jede Branche wird zu einer potenziellen Publishing-Chance.

Personalisierung im großen Maßstab: HBM hat eine Vision von "zwei Millionen Personas". Jeder einzelne Leser bekommt Content, der auf seine spezifischen Präferenzen zugeschnitten ist. Es ist immer noch die gleiche Story, aber für verschiedene Nutzer unterschiedlich präsentiert. Eine Person könnte Stichpunkte bekommen, eine andere eine lange Analyse. Headlines könnten für manche datengetrieben sein, für andere emotional. Und die Content-Tiefe variiert basierend auf dem Expertenlevel. KI kann automatisch die gleichen Kerninformationen in Formate anpassen, die zu individuellen Lesemustern, Interessen und Konsumgewohnheiten passen. Zwei Millionen KI-Redakteure erstellen jeweils Content für eine spezifische Person.

Das ist allerdings noch größtenteils theoretisch und eine Zukunftsvision von HBM. Die Technologie existiert, um in großem Maßstab zu personalisieren, aber die meisten Verlage haben dieses Level der Individualisierung noch nicht implementiert. Es repräsentiert den ultimativen Endpunkt von AI-getriebenem Publishing: Massenanpassung von Content für individuelle Konsumpräferenzen.

Wie das HBM-Modell in den Branchenkontext passt

Verlage stehen vor einer brutalen Realität: Traffic um 50%+ gesunken, fallende Werberaten, und Leser wenden sich für schnelle Antworten zunehmend an ChatGPT. Alan Hunter beobachtet: "Privat beschreiben Leute in der Medienbranche Traffic-Rückgänge, die weit über das hinausgehen, was bereits berichtet wurde. Viele sagen öffentlich, dass sie 50% ihres Traffics in den letzten zwei Jahren verloren haben. Das ist nicht wirklich der Effekt von KI - noch nicht jedenfalls - sondern Google-Algorithmus-Änderungen."

Das alte Modell von hochvolumigem, geringwertigem Content bricht zusammen. Verlage, die überleben, werden zu vertrauenswürdigen "Destinationen", wo Leser nach Analysen suchen, die sie anderswo nicht bekommen können. Michael Brunt betont diesen Wandel: "Publikationen erfinden sich neu als Destination, besonders solche, die Markenvertrauen und Integrität besitzen. Wenn ein großes Ereignis passiert - zum Beispiel der jüngste Konflikt zwischen Iran und Israel - gehe ich zu The Hindu oder zu The Times, um herauszufinden, was es für mich bedeutet, weil ich weiß, wofür sie stehen."

HBMs Modell überbrückt die Lücke zwischen Massenware und exklusivem Content. Tomorrow's Publisher aggregiert nicht nur Pressemitteilungen - die Publikation kuratiert und kontextualisiert Branchenentwicklungen für Profis, die Expertenfilterung brauchen. Die KI findet Quellen und schreibt erste Entwürfe, aber menschliches redaktionelles Urteilsvermögen stellt sicher, dass der Content den Bedürfnissen einer spezifischen Community dient. Das schafft einen Mittelweg: schneller als traditioneller Journalismus, aber wertvoller als reine Informationsfeeds.

Die Ökonomie funktioniert, weil AI die Produktionskosten drastisch senkt bei gleichzeitiger Beibehaltung redaktioneller Standards. Verlage können spezialisierte Zielgruppen profitabel bedienen, selbst mit bescheidenen Abonnentenzahlen.

Was Verlage aus dieser Fallstudie lernen können

HBM Advisorys Blaupause zeigt, dass KI wichtige Teile der Publikation von Branchendiensten automatisieren kann bei gleichzeitiger Beibehaltung redaktioneller Standards. Der 30-Minuten-Tagesworkflow, der professionellen Publikationsoutput produziert, stellt eine neue Baseline für Publishing-Effizienz dar.

Die breiteren Implikationen: Informationsüberfluss macht Kuration und Analyse genauso wertvoll wie reine Berichterstattung. Verlage, die diesen Wandel erkennen und angemessene AI-Tools implementieren, haben einen Wettbewerbsvorteil in einer zunehmend automatisierten Medienlandschaft.

Verwendete Tools für diesen Newsletter:

Otter.ai Pro: Transkription

Claude 4.0 Sonnet Pro: zusätzliche Recherche, erster Entwurf englische Fassung und Rohfassung deutsche Übersetzung

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